31.07.2015 Straflose Steuer-Selbstanzeige

Die alte Geheimdienstweisheit von der Liebe des Verrats, aber der Abneigung gegenüber dem Verräter handelt auch ein wenig die Entwicklung des Rechts der steuerlichen Selbstanzeige in Deutschland. Deutschland bekennt sich weiterhin zur Möglichkeit der Selbstanzeige und den dadurch erhofften Steuermehrmilliarden, versucht aber zunehmend die Voraussetzungen für den Genuss der strafbefreienden Wirkung mit durchaus erfolgversprechenden Mitteln einzuschränken. Flankiert wird diese Entwicklung durch eine eher fiskalfreundliche Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Selbstanzeige durch Mitglieder des zuständigen Senats des obersten Strafgerichts in Deutschland (dem Bundesgerichtshof).

I. Tatbestand

Die strafbefreiende Selbstanzeige ist von dem Gesetzgeber gewollt worden, um das Steueraufkommen zu sichern, im Bereich des Steuerstrafrechts Ermittlungsaufwand bei den Behörden ökonomisch gestalten und dem steuerunehrlichen Bürger eine „goldene Brücke“ zurück zur Steuerehrlichkeit anbieten zu können. Strafrechtlich stellt sie eine seltene Ausnahme dar, strafbares Unrecht im Nachhinein einer staatlichen, strafrechtlichen Sanktion entziehen zu können.

1. Steuerhinterziehung

a) Wörtliche steht dieser Weg zunächst und grundsätzlich nur dann zur Verfügung, wenn eine Steuerstraftat nach § 370 AO (Steuerhinterziehung) begangen worden ist. Eine Steuerstraftat nach § 372 AO (Bannbruch), § 373 AO (Gewerbsmäßiger, gewaltsamer und bandenmäßiger Schmuggel) und § 374 AO (Steuerhehlerei) kann nicht durch Selbstanzeige „bereinigt“ werden. Dies liegt wohl daran, dass der Gesetzgeber hier wohl eher ein größeres strafrechtliches Unrecht aufgrund gewerblicher Verletzungsstrukturen vermutet.

b) Eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) liegt dann vor, wenn ein Verpflichteter (i) den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerliche erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, (ii) Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis läßt oder (iii) pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt, und (iv) dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder andere nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

Diese Voraussetzungen müssen dabei sowohl im objektiven und, was die Finanzbehörden gerne vergessen, im subjektiven Tatbestand erfüllt sein.

Auf weitere Erläuterungen zu der Norm des § 370 AO (Steuerhinterziehung) wird an dieser Stelle verzichtet, um sich auf die Voraussetzungen der Selbstanzeige (§ 371 AO) zu konzentrieren.

2. Selbstanzeige

Eine Selbstanzeige liegt nach dem Gesetz nur dann vor, wenn zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachgeholt werden.

a) Dieser erste Satz des § 371 AO enthält in diesem Sinne bereits bedeutende Merkmale. Zunächst einmal wird deutlich, dass Straffreiheit nur erlangen kann, wer bezüglich sämtlicher Fehler reinen Tisch macht. Es müssen alle Steuerstraftaten berichtigt werden, so dass die früher mal mögliche Teil-Selbstanzeige nicht mehr möglich ist. Dabei ist es aber nicht erforderlich, dass sämtliche derzeit offenen steuerlichen Erklärungsfehler berichtigt werden, sondern nur solche, die die zu berichtigende Steuerart betreffen. Wer also zur Einkommensteuer nacherklärt, muss bezüglich der Einkommenssteuer vollständig berichtigen („Vollständigkeitsgebot“). Umsatzsteuer oder Erbschaftsteuer oder andere Steuerarten, können in einer weiteren Selbstanzeige oder auch nicht berichtigt werden.

b) Zeitlich beschränkt das Gesetz die Erklärungspflicht auf die steuerstrafrechtlich relevanten Vorgänge, die innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgt sind. Diese zeitliche Bestimmung ist durch das AO-Änderungsgesetz mit Wirkung zum 01.01.2015 eingeführt worden. Vor diesem Zeitpunkt galt es die steuerrechtliche Festsetzungsverjährung zu beachten, die das parallel zum Strafverfahren ebenfalls laufende Steuerverfahren betrifft. Diese betrifft weiterhin für hinterzogene Steuern zehn Jahre. Darüber hinaus gilt es noch die strafrechtliche Verfolgungsverjährung in Betracht zu ziehen. Diese beträgt lediglich fünf Jahre. Dies bedeutet, dass steuerstrafrechtlich derzeit für eine einfache Steuerhinterziehung jemand nur belangt werden kann, der die entsprechende Tat in den letzten fünf Kalenderjahren begangen hat. Will dieser jemand eine Selbstanzeige wirksam einreichen, muss er jedoch vollständig für den darüber hinaus gehenden 10-Kalenderjahreszeitraum berichtigen.

Problematisch an dieser Stelle ist, dass zwar die Berechnung der steuerrechtlichen Festsetzungsverjährung und der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung mittlerweile relativ klar durch entsprechende Rechtsprechung bemessen werden kann, es aber für die Anwendung des in § 371 AO neu geschaffenen zehnjährigen Betrachtungszeitraums verständlicherweise noch an Rechtsprechung mangelt, in Literatur und Verwaltung darüber hinaus aber noch uneinheitliche Auffassungen zu Bestimmung dieses Zeitraumes existieren, die die Abgabe einer wirksamen Selbstanzeige deutlich erschweren. Aus Beratersicht muss daher auf den längst möglichen Zeitraum abgestellt werden, bei dem dann sogar Tathandlungen im Versuchsstadium, die noch länger als zehn Kalenderjahre zurückliegen, aber in dem Betrachtungszeitraum in die Tatbeendigung/Tatvollendung geführt haben, mit berücksichtigt werden müssen. Dieser Umstand weitet den zehnjährigen Betrachtungszeitraum noch deutlich aus.

Darüber hinaus bestehen die tatsächlichen Schwierigkeiten, für derart lange Zeiträume entsprechende Belege beibringen und Sachverhaltsaufklärung leisten zu können. Die Banken beispielsweise schaffen es in der Regel für maximal zehn Jahre Unterlagen rückwirkend bereitzustellen. Zu älteren Vorgängen kann der betroffene Steuerpflichtige unter Umständen dann keine weiteren Belege beifügen und muss auf Schätzungen zurückgreifen, die natürlich Möglichkeit und Angriffsfläche für Kritik durch die Strafverfolgungsbehörden bieten.

c) Als positive Änderung ist zum 1.1.2015 aufgenommen worden, dass für den Bereich der Umsatzsteuervoranmeldung und Lohnsteueranmeldung eine Teilselbstanzeige und damit die Ausnahme zum Grundsatz der vollständigen Nacherklärung wieder als wirksam erachtet wird. Dies war bis zum Ende des Jahres 2014 nicht der Fall und verhinderte rechtlich jedenfalls die rechtssichere Korrektur derartiger unterjähriger Steueranmeldungen. Dieses Problem ist aber zum 1.1.2015 durch gesetzliche Anordnung behoben.

II. Sperrgründe

Wenn auch formal eine korrekte Selbstanzeige vorliegt, soll nach Auffassung des Gesetzgebers ihre strafbefreiende Wirkung nicht eintreten, wenn bestimmte Fallkonstellationen vorliegen.

1. Die Strafbefreiung tritt nicht ein, wenn die verkürzte Steuer oder der erlangte unberechtigte Vorteil einen Betrag von 25.000 € je Tat übersteigt, oder ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung (beispielsweise Missbrauch durch Amtsträger, bandenmäßige Begehung, etc.) gemäß § 370 Abs.3 S.2 Nr. 2-5 AO vorliegt.

Die Einzeltatbetrachtung hilft beispielsweise bei der Einkommensteuer, da hier jede einzelne falsche Einkommensteuererklärung als eine Tat begriffen wird, so dass beispielsweise zwei falsche Einkommensteuererklärungen für die letzten fünf Veranlagungszeiträume zwei einzelne Taten darstellen.

Liegt eine der vorgenannten Sperren vor, lässt sich letztendlich Strafbefreiung nur dadurch erreichen, dass zusätzlich Geld bezahlt wird. Gemäß § 398a AO wird in diesen Fällen von der Strafverfolgung abgesehen, wenn die hinterzogene Steuer, Hinterziehung und Nachveranlagungszinsen sowie eine Art Strafzuschlag (10% bei hinterzogenen Steuern bis 100T€, 15% bei einem Hinterziehungsbetrag von bis zu 1 Mio. € und 20% bei Hinterziehungsbeträgen größer 1 Mio. €) gezahlt werden.

Dieser Strafzuschlag wird im Übrigen nicht erstattet, wenn die Selbstanzeige aus anderen Gründen unwirksam sein sollte. Er wird dann auf die zu verhängende Geldstrafe durch das Gericht angerechnet.

2. Liegt die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung für eine Außenprüfung vor, ist für den zeitlichen und sachlichen Umfang der Außenprüfung ebenfalls die Selbstanzeige nicht mehr wirksam einzulegen. Unabhängig davon kann natürlich jederzeit für die Zeiträume und Steuerarten, die nicht von der Prüfung betroffen sind, noch eine Selbstanzeige eingereicht werden. Gleiches gilt wenn die Einleitung eines Straf-oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist hinsichtlich des Umfangs des Verfahrens.

Verschärfend wurde mit Wirkung zum 1.1.2015 eingeführt, dass es ausreicht, dass derartige Bekanntgaben auch an einen anderen an der Tat Beteiligten erfolgen können. Dies kann für Hilfeleistende, wie beispielsweise Steuerberater, Banker, oder andere im Umfeld der Steuerstraftat tätige Personen zu misslichen Situation führen, da im Falle einer Bekanntgabe der Prüfungsanordnung bzw. der Einleitungsnachricht an den Steuerpflichtigen die Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige für die Gehilfen nicht mehr möglich ist.

3. Ist die Tat zum Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige entdeckt und wusste dies der Täter oder musste er bei verständiger Würdigung mit Entdeckung rechnen, dann ist diese Anzeige auch nicht mehr möglich. Diese Vorschrift ist insoweit klar, als dass bereits bekannte Straftaten, von denen der Steuerpflichtige weiß, dass das Finanzamt davon weiß, kein Anlass mehr für eine goldene Brücke bieten können. Problematischer sind die Fälle, aus denen abgeleitet wird, dass der Steuerpflichtige bei verständiger Würdigung mit Tatentdeckung hätte rechnen müssen. Hier wird insbesondere in den in der Presse jeweils kolportierten CD-Fällen fast immer von der zuständigen Staatsanwaltschaft gestützt auf Aussagen von Richtern des Bundesgerichtshofes die Auffassung vertreten, dass der Steuerpflichtige, sobald sein Fall irgendwie in Beziehung stehen könnte mit den in der Presse kolportierten CD-Fällen, davon ausgehen konnte, dass seine Tat entdeckt sei. In diesen Fällen ist also ein umsichtiges Verhalten geboten, wenn diesbezüglich noch an eine Selbstanzeige gedacht werden soll.

III. Weitere Voraussetzungen

Schließlich hängt für den Fall, dass die Steuerverkürzung bereits eingetreten oder der Steuervorteil erlangt ist, die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige davon ab, dass die hinterzogenen Steuern zuzüglich Hinterziehungszinsen von 6% pro Jahr innerhalb der dem Steuerpflichtigen von der Behörde gesetzten Fristen gezahlt werden.

IV. Sonstiges

Neben den vorstehend erläuterten Grundsätzen zu steuerlichen Selbstanzeige können im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Ermittlung der tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen oder der individuellen Rechtsanwendung entstehen, da noch nicht sämtliche Zweifelsfragen bezüglich des Rechts der Selbstanzeige gelöst sind. Andeutungen sind im vorstehenden Text hierzu gemacht worden. Sollte dann im Einzelfall herausgearbeitet werden, dass eine Selbstanzeige unwirksam wäre, kann in begründeten Einzelfällen gegebenenfalls durch andere Rechtsinstitute wie den sogenannten „Rücktritt vom Versuch“ der Steuerhinterziehung (§ 24 StGB) noch die gewollte Lösung herbeigeführt werden. Jedenfalls kann keinem Steuerpflichtigen empfohlen werden, die Selbstanzeige ohne begleitende Beratung durchzuführen, der das Risiko des Scheiterns der Selbstanzeige zu groß ist. Die Finanzämter freuen sich sicherlich über fehlerhafte Anzeigen, da sie Ihnen entsprechende Informationen und Ermittlungsansätze liefern, die auch die Durchführung des Strafverfahrens gegenüber dem Steuerpflichtigen rechtfertigen. Dieser hat dann zwar mit der gescheiterten Selbstanzeige ein einlassungsgleiches Geständnis abgeliefert, profitiert aber nicht von dem Segen der Selbstanzeige.

V. Ausblick

Im Herbst 2014 haben mehr als 51 Staatenvertreter in Berlin eine multilaterale Vereinbarung über den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen unterzeichnet. Dieser Informationsaustausch basiert auf Standards, die von der OECD entwickelt wurden und die dem automatischen steuerlichen Austausch von Informationen zu Finanzkonten dienen. Mittlerweile beteiligen sich auch Staaten wie die Schweiz oder Singapur an der Entwicklung dieses Standards.

Innerhalb Europas wird allerspätestens zum 01.01.2017 flächendeckend in Umsetzung der verschärften Zinssteuer-Richtlinie ein automatischer Informationsaustausch über Zinserträge in anderen EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt. Es wird zu erwarten sein, dass sich auch die Anrainerstaaten Schweiz, Lichtenstein, Monaco, Andorra und San Marino diesem Verfahren anschließen bzw. in dieses Verfahren eingebunden werden. In einigen Ländern wird dieser Informationsaustausch bereits Ende 2015 gelebte Praxis sein.

Der Druck zu Nacherklärung jedenfalls von Kapitaleinkünften wächst hierdurch erheblich und es wird innerhalb Europas kaum mehr eine Möglichkeit bestehen, Kapitaleinkünften vor den hiesigen Fiski unentdeckt zu lassen.

Steuerpflichtige, die mir Ihren Einkünften in mehreren Staaten erklärungspflichtig sind, werden aufgrund der zunehmenden Informationsvernetzung innerhalb der EU jedenfalls in Bedrängnis geraten und ggfs. die Durchführung abgestimmter Selbstanzeigen in mehreren Staaten erwägen müssen. Hier wird es dann auf enge Zusammenarbeit der beteiligten Berater ankommen, um ein abgestimmtes Vorgehen gegenüber den Behörden gewährleisten zu können, und um zu verhindern, dass der Informationsaustausch dazu führt, dass die Kenntnis eines Staates von steuerlich relevanten Sachverhalten einem anderen Staat vor Einreichung einer Selbstanzeige dort gemeldet wird.

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Christoph Schmitz-Schunken
Christoph Schmitz-Schunken
schmitz-schunken@steuerstrafrecht.pro

Christoph Schmitz-Schunken ist Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt Steuerrecht. Er arbeitet als Experte für Steuerstrafrecht und Wirtschaftsstrafrecht.